Digitale Innovationen als Chance für den inhabergeführten Einzelhandel
Eigentlich schätzen wir sie, die Boutiquen und kleinen Läden in der Fußgängerzone unserer Stadt. Sie versorgen uns mit fast allem, was wir brauchen. Ihre Schaufenster und Stände beleben das Straßenbild, man findet eine durchdachte Auswahl an Waren, die man befühlen oder an denen man riechen kann, persönliche Beratung hilft bei der Kaufentscheidung, und wir können das Buch oder das Parfüm gleich mitnehmen. So macht Einkaufen Spaß – wenn man Zeit und Muße hat. Und wenn nicht? Dann nutzen wir eben doch das globale Produktangebot im Internet, kaufen per Klick und lassen uns alles bequem nach Hause liefern. Ein Trend, der durch die fortschreitende Digitalisierung in den vergangenen 15 Jahren zugenommen hat und kleinere und mittelständische Geschäfte des stationären Einzelhandels unter Druck setzt. Denn sie verlieren ihre Kunden an Internet-Versandhändler und große Handelsunternehmen, die mit breitem Filialnetz, zusätzlichen Online-Shops und smarten Vermark-tungsstrategien den Markt dominieren.
Doch digitales Nachrüsten ist für kleine Betriebe teuer und kann bei unreflektiertem Handeln schnell zu Fehlern und Enttäuschung führen. Eine erfolgreiche Digitalisierung erfordert spezielles Wissen. Das betrifft auch den Einzelhandel in der Region Südwestfalen. Studien zufolge sind dort in den nächsten Jahren Umsatzeinbußen von bis zu 30 Prozent zu erwarten.
Der digitale Stand der Dinge
Dieses Problem möchten Prof. Dr. Peter Weber und Lars Bollweg vom Competence Center E-Commerce (CCEC) der Fachhochschule Südwestfalen mit dem Forschungsprojekt „Zukunftslabor Einzelhandel Südwestfalen 2020“ angehen. Gemeinsam mit weiteren Projektpartnern wollen die beiden E-Commerce-Experten untersuchen, wie Händlerinnen und Händler digitale Technologien für ihren wirtschaftlichen Erfolg nutzen und sich so gegen die Konkurrenz behaupten können.
„Um herauszufinden, welche digitalen Vermarktungsstrategien unserer Zielgruppe helfen könnten aufzuholen, mussten wir zunächst den Status quo ermitteln“, erklärt Bollweg. Dazu befragte sein Forscherteam Händlerinnen und Händler in 25 Städten der Region Südwestfalen, wie „digital“ sie arbeiten und was sie als Treiber oder Barrieren der Digitalisierung empfinden. Im Herbst sollen die Ergebnisse auf mehreren Veranstaltungen präsentiert und darauf aufbauend ein Methodenbaukasten mit digitalen Handlungsmöglichkeiten erarbeitet werden. Zugang zu dem gesammelten Wissen und den erarbeiteten Lösungen erhalten die Einzelhändlerinnen und -händler in gemeinsamen Workshops oder via E-Learning.
Alle Kanäle nutzen
„Es gibt schon viele gute Ansätze“, sagt Bollweg. „Aber niemand weiß, welche wirklich funktionieren. Einige Händler nutzen bereits Online-Shops, Same-Day-Lieferservices und manche sogar In-Store Applikationen wie den Twitter-Mirror.“ Das ist ein Spiegel mit eingebauter Digicam, der Fotos von Kunden im favorisierten Outfit über Social-Media-Kanäle an Freunde schickt, sodass diese online Ratschläge zum Kauf geben können. „Die Herausforderung ist es aber, ein Rundum-Paket zu schnüren aus Maßnahmen im Geschäft vor Ort, den dazugehörigen Online-Vertriebskanälen und digitalen Serviceangeboten.“ Und genau da wollen Weber und Bollweg hin: Einzelhändlerinnen und -händler sollten digitale Lösungen einsetzen, um die Standortvorteile ihrer Ladenlokale mit den Möglichkeiten des Online-Handels zu verschmelzen und sich so den veränderten Bedürfnissen der Kundschaft anzupassen. „Viele Kunden informieren sich heutzutage vor einem Kauf intensiv im Internet über das Produkt, das sie interessiert“, erklärt Bollweg. „Sie erwerben damit ein tiefes Wissen und sind deshalb oft besser informiert als der Berater im Fachgeschäft.“ Weiß dieser dann nicht ganz detailliert Bescheid, wird seine Beratungsleistung – eigentlich eine der größten Stärken des stationären Einzelhandels – als nicht mehr zufriedenstellend empfunden. Diese Dynamiken gelte es zu verstehen und innovativ zu lösen, glauben Weber und Bollweg. Beispielsweise mit einem Tablet, das Verkäuferinnen und Verkäufer einsetzen können, um das gesuchte Produkt zu recherchieren und seine Vor- und Nachteile im Kundengespräch fachlich zu bewerten.
Gut beraten
Eines ist sicher: Die Digitalisierung des Handels boomt. Und jeden Tag kommen neue Innovationen und Serviceanbieter auf den Markt – von lokalen Shopping-Plattformen, die ortsansässige Läden für Werbung, Verkauf und Beratung nutzen, bis hin zu Fahrradkurieren, die im Laden bestellte Ware noch am selben Tag ausliefern. Den Überblick behalten, wissen, was für wen interessant ist und wie es angewendet wird, und so den stationären inhabergeführten Einzelhandel stärken – das möchte das Projekt erreichen.
Neben dem CCEC wirken daran die Universität Siegen, die Hochschule BiTS in Iserlohn und die Industrie- und Handelskammern in Arnsberg und Hagen mit. Vom Europäischen Fonds für regionale Entwicklung und dem Land NRW erhält das Zukunftslabor über drei Jahre eine Förderung von insgesamt 1,2 Millionen Euro.
Kontakt
Fachhochschule Südwestfalen
Zukunftslabor Einzelhandel Südwestfalen 2020
Prof. Dr. Peter Weber
+49 (0)2921 387 3475
weber.peter@fh-swf.de
Weitere Informationen
www.prosense.info
www.vitting.design.fh-aachen.de/forschung/
Text
Netzwerkbüro HN NRW | Eva Helm