Virtuelle Simulation für nachhaltige Stadtplanung
Bevölkerungsrückgang und wirtschaftlicher Strukturwandel verändern unsere Gesellschaft spürbar. Auch in Deutschland gibt es immer mehr ältere Menschen. Junge Leute und Familien drängen in die Städte, konjunkturschwache und ländliche Regionen verwaisen. Das wirkt sich nicht zuletzt auf die Infrastruktur aus. In manchen Kommunen kostet die Instandhaltung ungenutzter Häuser und Straßen Millionen. In anderen platzt das vorhandene Verkehrsnetz aus allen Nähten und die große Nachfrage nach Wohnraum treibt die Mietpreise in die Höhe.
Diese Entwicklung stellt Entscheidungsträgerinnen und -träger in Politik und Stadtplanung vor große Herausforderungen. Um attraktive Lebens- und Wirtschaftsräume nachhaltig zu gestalten, müssen sie dafür sorgen, dass die täglichen Bedarfe der Bevölkerung durch vorhandene Angebote gedeckt sind. Gleichzeitig gilt es, Klima- und Umweltschutzziele zu berücksichtigen oder auch soziale Segregation zu vermeiden. Das zu überblickende System ist somit sehr komplex und eine ganzheitliche Betrachtung, die alle Dynamiken einbezieht, schwierig. Unterstützen soll sie nun ein digitales Simulationswerkzeug der Hochschule Bochum, das verschiedene Entwicklungsszenarien einer Stadt analysiert und vorausberechnet und so planungsstrategische Empfehlungen geben kann.
Zielgruppengerechte Infrastruktur
Ziel ist es, attraktive Räume zu schaffen, die dann ein spannungsfreies Zusammenleben bei hoher Lebensqualität ermöglichen. Was genau eine Stadt oder Gemeinde dazu braucht, hängt entscheidend von der jeweiligen Bevölkerungsgruppe ab, wissen die Forscherinnen und Forscher, die im Rahmen des Projekts „SimUSys – Spatial Simulation for Urban System-oriented Planning“ das Werkzeug entwickeln. „Junge Leute mit Anfang zwanzig haben andere Bedarfe als etwa Seniorinnen und Senioren im Rentenalter“, sagt die Leiterin des Vorhabens, Dr. Ulrike Klein, Professorin für Geoinformatik und angewandte Geodäsie an der Hochschule. Je angepasster die Infrastruktur an die jeweiligen Bedürfnisse sei, desto höher auch die mögliche Lebensqualität. Wohnen in einem Stadtviertel viele ältere Leute, muss der Straßenraum beispielsweise barrierefrei sein. Dazu gehören abgeflachte Bordsteinkanten, Aufzüge zur U-Bahn oder längere Ampelphasen. Junge Familien brauchen mehr Kitas und Schulen, Studierende günstige Einkaufsmöglichkeiten und vielleicht einen Waschsalon.
Suchen und Planen
Um die Raumattraktivität für eine Zielgruppe in einer definierten Region bestimmen zu können, kombiniert das Tool unterschiedliche Geo- und Sachdaten – über vorhandene Gebäude, Grünflächen, Straßen- und Verkehrsnetze, Gewässer, Industrie, das Alter der Bausubstanz, deren energetische Ausstattung oder die Anzahl der Einwohner – mit vordefinierten Werten einer Zielgruppe selbst. Letztere enthalten von Klein und ihrem Forscherteam recherchierte Informationen über das Alter der Gruppe, ihre infrastrukturellen Anforderungen und die maximalen Entfernungen, die vom Wohnort zu Geschäften, Einrichtungen oder dem ÖPNV zurückgelegt werden können.
„Will eine Gemeinde nun wissen, wo der beste Platz für ein neues Seniorenzentrum wäre, könnte das Tool unter Eingabe der entsprechenden Zielgruppe, Infrastrukturanforderungen oder Entfernungen einen geeigneten Platz anzeigen“, so Klein. Gleichzeitig könnte man sehen, welche Auswirkungen der Bau des Zentrums auf die Umgebung hätte, sprich welche Bedarfe entstehen würden. Auf diese Weise ließen sich Zuzugsdynamiken besser steuern und Versorgungsangebote gezielter dort ausbauen.
Mehr Lebensqualität, weniger Kosten
Für die Stadt Bochum haben Klein und ihr Forscherteam das Simulationswerkzeug bereits getestet, um die Raumattraktivität für die Zielgruppe der Seniorinnen und Senioren zu ermitteln. Der Bochumer Stadtkern und einige Nebenzentren stellten sich dabei als besonders lebenswert heraus. Im Vergleich mit den tatsächlichen Wohnorten der Gruppe zeigte sich jedoch, dass lediglich 28 Prozent der Bochumer Seniorenhaushalte in diesen Räumen liegen. Ebenso viele befinden sich in Gebieten, die das Tool als wenig oder kaum geeignet definierte. Die Ergebnisse aus der Anwendung können Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern nun helfen, hier nachzujustieren.
„Die Möglichkeit, Entwicklungsszenarien vorauszuberechnen und besser zu steuern, hat letztlich nicht nur Vorteile für die Lebensqualität der einzelnen Menschen, sondern auch für die Gesellschaft“, sagt Klein. Gerade vor dem Hintergrund des demografischen Wandels werde es zunehmend ältere Menschen geben. Dass sie in ihrem Viertel oder ihrer Gemeinde Infrastrukturen des täglichen Bedarfs zu Fuß erreichen können und sich somit länger selbst versorgen, steigere ihre Eigenständigkeit und entlaste das Gesundheitssystem. Dieses Prinzip lässt sich auch auf andere Gruppen übertragen. Mehr Raumattraktivität unterstützt den Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage sozialer, technischer und kommunaler Infrastruktur und trägt so dazu bei, Ressourcen besser zu verteilen.
Kontakt
Hochschule Bochum
SimUSys
Prof. Dr. Ulrike Klein
+49 (0)234 3210543
ulrike.klein@hs-bochum.de
Weitere Informationen
www.prosense.info
www.vitting.design.fh-aachen.de/forschung/
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Netzwerkbüro HN NRW | Eva Helm